Es ist erst wenige Wochen her, da ließ Frank Marino, ansonsten medial eher nicht übermäßig kommunikativ, via Musikpresse verlauten, dass er sich zur Ruhe setzen und auch keinerlei Live-Aktivitäten mehr wahrnehmen würde. Das alles mit sofortiger Wirkung. Eine überraschende und allem Anschein nach schwerwiegende Erkrankung, die er nicht näher spezifizierte, würde ihn dazu zwingen.
Diese aus meiner Sicht sehr bedauerliche Nachricht ließ in mir relativ schnell den Entschluß reifen, Marino nun an dieser Stelle zu würdigen und ihn sowie sein Werk einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, ja, vielleicht auch dem einen oder anderen noch etwas näher zu bringen.
Gerade auch vor dem Hintergrund, dass sein Schaffen hier in Europa leider nie mit der gleichen Bekanntheit gesegnet war wie in den Vereinigten Staaten oder Kanada. Was natürlich - das sollte man nicht verschweigen - auch daran liegt, dass es der an der Gitarre so begnadete Italo-Kanadier stets verpennte oder zumindest für einigermaßen unwichtig hielt, in Europa zu touren, aufzutreten und seine Platten somit in ausreichendem Maße diesseits des großen Teichs zu promoten.
In Europa ein absoluter Geheimtip, blieb er aber selbst in seiner Heimat trotz deutlich größerer Anerkennung letztlich immer ein Fall für Kenner und Genießer, der eigentlich nie über die 2.Popularitätsreihe hinauskam, weil seine Musik einfach nicht für die ganz breite Masse konzipiert war und ihr zudem jahrelang völlig zu Unrecht das Stigma des Jimi Hendrix-Clons für Arme anhaftete.
Wobei sich ein deutlicher Hendrix-Einfluß vor allem im Frühwerk seiner Band Mahogany Rush definitiv nicht abstreiten läßt, ganz falsch lagen die Kritiker mit ihrer Expertise also beileibe nicht. Jedoch agierte Marino viel zu vielseitig und freigeistig, als das man ihn am Ende nur auf dieses eine Merkmal reduzieren könnte und vor allem schaffte er es im Laufe seiner Karriere zunehmend, sich von diesem Einfluß durch immer größer werdende Eigenständigkeit zunehmend zu emanzipieren, ohne ihn deshalb völlig zu verleugnen.
Die ersten musikalischen Gehversuche unternahm der als Francesco Antonio Marino 1954 in Montreal geborene Gitarrist im "Summer Of Love" 1967, allerdings eher unfreiwillig: Im zarten Alter von gerade mal 13 Jahren hatte sich der experimentierfreudige Teenager dermaßen mit einer Ladung LSD abgefüllt, dass er mit heftigsten Folgeerscheinungen, die sogar lebensbedrohliche Formen annahmen, ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte.
Der halluzinogene Trip hatte im Hirn des Jugendlichen vorübergehend so einiges püriert und verursachte diverse Nachwehen wie üble Flashbacks und andere unschöne Begleiterscheinungen, so dass der junge Mann noch längere Zeit im Sanatorium verweilen musste, um wieder in die richtige Spur gebracht zu werden. Im Übrigen war diese frühreife (Negativ-)Erfahrung allerdings durchaus heilsam, denn danach hat der gute Frank Drogen nie wieder angefasst und sich für den Rest seines Lebens stattdessen lieber auf gute Musik konzentriert....

In einem Abstellraum des Hospitals entdeckte Martino eine alte Akustikgitarrre, die dort, aus welchen Gründen auch immer, abgelegt worden war. Er nahm sich ihrer an und entlockte ihr schnell die ersten brauchbaren Töne, obwohl er zuvor keinerlei instrumentale Kenntnisse besessen hatte. Zügig machte er Fortschritte und brachte es somit überraschend schnell zu erstaunlicher Virtuosität auf diesem Instrument. Ein echtes Naturtalent. Die Gitarre wurde für ihn schnell zu einer Art Therapie und bot ihm die Gelegenheit, sich gezielt zu konzentrieren und somit dem wahnsinnigen Durcheinander in seinem Hirn zu entfliehen, also wieder Ordnung und Struktur in das persönliche Chaos zu bringen.
Da Marinos Eltern die ganze Entwicklung mit Wohlwollen begleiteten und froh waren, dass ihr Junge nach seinem mißglückten Drogen-Experiment noch einmal halbwegs glimpflich davongekommen war, unterstützten sie seine weiteren Bemühungen, in dem sie ihm nach der Klinikentlassung eine gebrauchte Gibson SG schenkten, damit er die "Therapie" gewissermaßen auch daheim fortsetzen konnte.
Um 1969 herum, gerade einmal 15 Jahre alt, formierte Marino mit seinen Freunden Jim Ayoub (Drums) und Paul Harwood (Bass) schließlich das Powertrio Mahogany Rush, dessen Name ebenfalls auf den unerquicklichen Drogentrip ihres Bandleaders Bezug nimmt.
Wie schon angedeutet spielerisch zunächst stark von Jimi Hendrix beeinflußt, der seinerzeit noch am Leben war, entwickelte Marino mit seiner Truppe einen explosiven, auf bluesigen Basics fußenden Bandsound, der einen grundsätzlich oftmals schwer psychedelischen Heavy Rock generierte, aber es dennoch nie an Vielseitigkeit mangeln ließ und gleichermaßen auch Rock´n´Roll atmete, jazzige Einflüsse absorbierte oder mit funkigen Licks aufwartete, genauso wie mit blubbernden Pink Floyd-Synthies. Marino gab später zudem immer wieder an, dass keineswegs ausschließlich Hendrix ein Einfluß gewesen sei, sondern genauso auch Jerry Garcia, John Cippolina, Bob Dylan, Carlos Santana oder Johnny Winter.
Die Live-Auftritte des nach wie vor blutjungen Musikers und seiner Band gerieten zu höchst intensiven Darbietungen, deren Performance an Leidenschaft und Power kaum zu übertreffen war und locker 2-3 Stunden dauern konnte.
Obwohl Marino inzwischen ein technisch höchst versierter Gitarrist war, durfte man mit Fug und Recht behaupten, dass Feeling ihm weit mehr bedeutete als Technik und auch all die Jahre danach der eigentliche Motor seines Spiels blieb. Seine Art Gitarre zu spielen war immer mitreißend, immer voller Seele und verkam nie zu bloßem, effektheischerischem Egomanengedudel.
1978, beim legendären California Jam Festival, versuchte das notorische Großmaul Ted Nugent, selbst alles andere als ein schlechter Musiker, Marino zu einem Gitarrenduell vor dem zahlreich erschienenen Publikum (um die 350.000 Leute !) herauszufordern. Marino konterte lässig und ließ den selbsternannten Großwildjäger und Grillkönig mehr oder weniger am ausgestreckten Arm verhungern, betonte aber später immer wieder, dass die anschließende Jam-Session mit Redneck-Ted absolut fantastisch gewesen sei.
Die Alben, die Mahogany Rush in ihrer ursprünglichen Besetzung aufnahmen, sind allesamt mehr als hörenswert und gehören aus meiner Sicht zum Besten, was es in diesem Bereich gibt. Sie hätten viel mehr Anerkennung verdient und sind ein essentieller Beitrag zur Geschichte der harten Rockmusik, das muß an dieser Stelle eindeutig festgestellt werden.
Auch Uli Jon Roth, Zeitgenosse von Marino und der wohl beste Gitarrist den die Hannoveraner Scorpions jemals in ihren Reihen hatten, zudem selbst jahrzehntelang mit dem bösen Vorwurf der Hendrix-Klauerei konfrontiert, ist ein ausgesprochener Freund vom Werk des Kanadiers und hält viele seiner Songs mindestens für "inspirierend".
Nachdem Mahogany Rush sensationelle Alben wie "Child Of The Novelty" (1974), "Strange Universe" (1975), "Mahogany IV" (1976) oder "World Anthem" (1977) aufgenommen hatten, änderte sich das Bandgefüge allmählich etwas.
Das ebenfalls sehr gute Übergangswerk "Tales Of The Unexpected" (1979) wurde, ebenso wie der Nachfolger "What´s Next" (1980), unter dem Namen Frank Marino & Mahogany Rush veröffentlicht, wobei seit letzterem Album Marinos Bruder Vince an der zweiten Gitarre mit von der Partie war, die Band also vom Trio zum Quartett mutierte.
Zunehmend ließ sich zudem ab dieser Zeit eine stilistische Entwicklung konstatieren, die - ohne dabei an Qualität und Faszination einzubüßen - ein wenig weg ging von psychedelischen Schwurbeleien und experimentellen Charakterzügen, dafür die Heavy Rock-Seite der Truppe konsequent etwas straighter ausgestaltete.
1981 erschien "The Power Of Rock´n´Roll", gleichfalls ein exzellentes Album, allerdings inzwischen nur noch noch unter dem Namen Frank Marino. Der Zusatz Mahogany Rush wurde komplett fallengelassen, obwohl es immer noch die gleiche Band war, aber es sollte wohl der Solokünstler Frank Marino stärker hervorgehoben werden.
Eines der absoluten Highlights der Bandkarriere erschien dann 1982 mit "Juggernaut" - ein Knaller vor dem Herrn ! Inzwischen war Jim Ayoub am Schlagzeug durch Timm Biery ersetzt worden und Marino bzw. der Band gelang ein konzises Heavy Rock-Album voll unbändiger Energie, gespickt mit ausnahmslos großartigem Songmaterial und veredelt durch ein geradezu ikonisches Artwork (welches fälschlicherweise eher eine gewisse Manowar-Ästhetik verbreitet, aber dennoch ungemein reizvoll ist).
"Juggernaut" war einst das erste Album, welches ich von Marino kannte und besaß - ich liebe es bis heute und es gehört zu meinen absoluten Inselscheiben !
Das balladeske "Stories Of A Hero" gemahnt stilistisch und stimmungsmäßig an eine Mischung aus Led Zeppelin und Hendrix, das höllisch groovende "Ditch Queen" dient als musikalisches Shrapnelgeschoss vom Feinsten, der schnelle Titeltrack ist eine grandiose, hoch temperierte Heavy Rock-Abfahrt allererster Kajüte, die dennoch an keiner Stelle melodisches Feingefühl und Feeling vermissen läßt und beim eher Synthesitzer-geprägten, dennoch wuchtigen "Strange Dreams" nimmt sich der Meister gar völlig uneitel ganz zurück, läßt den Song sprechen und verzichtet sogar auf ein Gitarrensolo ! Was viel über seine Einstellung zur Musik und sich selbst aussagt.....wie gesagt, einen zweiten Yngwie Malmsteen muß hier niemand befürchten!
Eine tolle Platte, die noch einmal in aller Deutlichkeit klarmachte, wie wandlungsfähig Marino Zeit seiner Karriere war und die ihn mit weitgehend aufs Wesentliche reduziertem, straightem Hardrock genauso überzeugend zeigte, wie beim eher blumig-schwurbeligen, psychedelisch und experimentell ausgelegten Hardrock der früheren Jahre. Zumal er seine grundsätzlichen Wurzeln wie gesagt zu keinem Zeitpunkt verleugnete und diese immer wieder in unterschiedlicher Präsenzstärke durchscheinen ließ.
Abwechslungsreich ist „Juggernaut“ jedenfalls dennoch in ausreichendem Maße – von dieser Qualität und musikalischen Ausdruckskraft müssten sich etliche Bands heutzutage dringend eine Scheibe abschneiden !
Nach „Juggernaut“ wurde es dann erstaunlicherweise plötzlich relativ still um Marino, der bis dato – zumindest in seinem Heimatland – recht gut im Geschäft war. Das nächste Album "Full Circle" kam erst 1986 und war tatsächlich eine kleinere Enttäuschung, da Marino hier unerwartet glatt daherkam, mit AOR-Einflüssen, eher halbherzig und wenig überzeugend. "From The Hip", 1988 veröffentlicht, war da wieder ein gutes Stück besser, aber dennoch war bei dem Kanadier mit den italienischen Wurzeln irgendwie die Luft raus.
Frust über das Musikbusiness an sich und vor allem auch die geschäftliche Seite der ganzen Angelegenheit machten ihm, dem alten Hippie, zunehmend zu schaffen und er zog sich für eine ganze Weile einfach ins Familienleben zurück, mit Ehefrau, drei Töchtern und Homestudio, in dem er weiterhin an Songs werkelte. Konzerttechnisch blieb Marino trotzdem aktiv, aber nicht mehr in der starken Frequenz der früheren Jahre. Es wurde ruhiger um ihn.
2005 erschien dann noch mal unerwartet ein spätes Album von ihm, "Eye Of The Storm". Dieses, hierzulande schwierig zu bekommen und kaum ausreichend vermarktet, gehört definitiv zu seinen besten und interessantesten und zeigt noch einmal deutlich auf, welche Klasse dieser Mann besitzt.
Es jongliert vielseitig sowie überaus packend und intensiv mit ausufernder Psychedelia, fernöstlichen Einflüssen, bluesigen Bekenntnissen, hartem Rock , aber auch einer ausgesuchten Lässigkeit und Entspanntheit, was vermutlich auch daran liegt, dass Frank zu dieser Zeit mittlerweile völlig abgeklärt und frei von irgendwelchem Erwartungsdruck arbeiten konnte.
Diese Scheibe, die leider kaum jemand kennt, zeigt als vermutlich finales Studioalbum noch einmal eindrucksvoll, zu welcher Vielfalt und Qualität dieser Mann fähig war, zu dessen Erkennungsmerkmalen neben seinem infektiösen Gitarrenspiel auch eine markant kehlige Gesangsstimme zählt. Das Album nimmt den Hörer auf eine in jeder Hinsicht spannende Reise mit. Sollte man sich besorgen, wenn möglich !
So wie es aussieht, war das also das definitiv letzte musikalisch (Studio-)Lebenszeichen von Frank Marino und es wird nichts mehr nachkommen. Livekonzerte aufgrund seiner wie auch immer gearteten Krankheit leider nun auch nicht mehr, wie am Anfang bereits festgestellt. Aus meiner bescheidenen Sicht handelt es sich bei Marino um einen der besten, ausdrucksstärksten Musiker überhaupt und jedes seiner Alben, egal welches, ist ein absolutes Fest für mich.


Ich kann jedem Interessierten nur die absolute Empfehlung aussprechen, sich mit seinem einzigartigen Klanguniversum zu beschäftigen, denn es lohnt sich zweifellos ! Frank hat es einfach verdient, dass man seine Werke kennt.
ALBEN
Als Mahogany Rush:
"Maxoom" (1972)
"Child Of The Novelty" (1974)
"Strange Universe" (1975)
"Mahogany IV" (1976)
"World Anthem" (1977)
Als Frank Marino & Mahogany Rush:
"Live" (1978)
"Tales Of The Unexpected" (1979)
"What´s Next" (1980)
Als Frank Marino:
"The Power Of Rock & Roll" (1981)
"Juggernaut" (1982)
"Full Circle" (1986)
"From The Hip" (1988)
"Eye Of The Storm" (2005)
5 Highlight-Songs zum Kennenlernen:
"Land Of 1000 Nights": Dichter Psychedelic-Hardrock-Nebel, wie er intensiver nicht sein könnte.
"Sister Change": Funky, sexy, ein wenig psychedelisch angehaucht und dennoch hart und knackig intoniert. Groove-Monster!
"Dragonfly": Ein typischer 70er-Hardrocksong mit verspielter Hendrix-Schlagseite.
"Stories Of A Hero": Eine größtenteils akustisch und balladesk gehaltene Anti-Kriegs-Nummer mit Led Zep-Vibe.
"Strange Dreams": Heavy, ohne dass Marino sich selber präsentieren muss...kein Gitarrensolo, dafür Synthesizer. Massiv und durchaus monumental.

